Berichte von 03/2014

Stockholm Ist Eben Nicht Klein-Paris

26März2014

Wie schon einmal erwähnt, und jetzt erwähne ich es noch einmal, denn wenn ich ehrlich bin, weiß ich zwar, wie oft ich gelesen werde, aber nicht wie regelmäßig und von wem, oder nur von sehr wenigen. Und da ich keine Verwirrung stiften möchte: wie schon erwähnt, zeigt einem Besuch, wie es nicht mehr ist. Zumindest unter anderem. Allerdings zeigt einem Besuch auch, wie es ein mal war und wie es wieder werden kann. Es gibt nämlich Dinge, die bleiben. Immer bleiben werden. Und das, das macht mich unglaublich glücklich. Das ist bästis! Besuch macht einem aber auch immer wieder bewusst, wie Stockholm an sich ist. Eben „ganz eigen“.

 

Einheimische und andere, die hier schon etwas länger sind, länger als ich und schon alle vier Jahreszeiten ein Mal erlebt haben, sagen, dass Stockholm im Winter und im Sommer zwei unterschiedliche Städte sind. Als ich hier im Herbst ankam ist der Sommer gerade bei der Abreise gewesen. Allerdings ist der Unterschied deutlich zu sehen. Im Winter, wenn die Tage kurz und grau sind, verbringt man die meiste Zeit zu Hause oder in Cafés und man wird dick. Wenn man dann im Frühling hoffentlich die vielen Kanelbullenschichten nach tragischen Sessions im Trainingscenter abgearbeitet hat. Und oh du meine Güte, ich werde wohl nie wieder in einem deutschen Fitnesscenter trainieren gehen können. Dafür rede ich nämich immer viel zu viel über alles und jeden. Das würde dann doch sehr komisch rüber kommen. Hahaha. Na, also, wenn dann wieder normal Gewicht eingetreten ist und man zurück in den Ring kann, dann sieht man nicht nur die Stadt, sondern auch die Welt mit ganz anderen Augen. Denn Wärme und Sonne können sehr viel ausrichten, nämlich positive Stimmung.

 

Stockholm hat zwar viele Museen, die sind aber, außer Freitags, ziemlich teue , und auch einiges anderes zum ansehen, an sich ist es aber wirklich eine Stadt, die man draußen genießt. Denn, wenn man unten an den Ufern sitzt und den Möwen mit ihren starren Augen hinter her sieht, wie sie eifrig den kleinsten Krümmeln der Kanelbullen hinterher springen, die Sonne deine müden Augen strahlen lässt und die Boote die Touristen rüber nach Djurgarden schiffen, wenn du warmen Café mit Bildern aus Schaum trinkst und den ganz eigenen schwedischen Cafégeschmack auf der Zunge zergehen lässt, wenn dein Erinnerungsbild von einem Schweden gefotobomt wird, wenn ein Lachen in der Luft und die Einheimischen auf der faulen Haut liegen, wenn alle ihre Gesichter zur Sonne recken und die Männer mit ihren langen Haaren, die zum Mandutt zusammen geknotet werden aus den Winterhöhlen kommen und die Frauen beginnen ihre Skinny Jeans jeden Tag ein bisschen höher zu krempeln, und der Abstand zwischen den Nike Air One und dem Stoff immer größer wird, dann weißt du, der Frühling ist nicht mehr weit und du bist im anderen Stockholm angekommen.

Wo anfangen und wo aufhören? Es gibt nicht das eine Ding, das jeder anstrebt. Es geht eher viel mehr darum, dass man überhaupt und aber auch auf welche Art man in Stockholm ist. Wir haben keinen Tour d´Eiffel und auch kein Mont Matre. Aber dafür haben wir 14 Inseln und Lebensgefühl. Denn kommt man nach Stockholm, schaut man sich nicht dies, das und pi pa po an. Stockholm braucht ein bisschen Feingefühl. Klar gibt es das Schloss, aber das ist für eine waschechte Heidelbergerin leider eher ein Witz (Entschuldige Hoheit, aber ne.). In Stockholm muss man eher die Materie aufarbeiten, aus der sie gemacht ist. Sei es etwa die vielen Cafés, in denen sich Daddy-Hipster gegenseitig ihre Hipp-Gläschen zu schieben und die Insider outside in der Sonne ihr Inneres miteinander teilen. Oder sei es in den vielen grünen Parks, in denen der Frühling zwar noch ein bisschen auf sich wartet aber immerhin schon geweckt wurde, in denen jedermann und -frau joggen geht, die Seele baumeln und die Woche hinter sich lässt. Oder aber die vielen Bars, in denen es gutes Bier, sprudelnden Cider und teuren Schnaps gibt. Aber es kommt ja nicht auf die Quantität sondern Qualität an. Wie bei der Wurst...schnief.

 

Im Nachhinein würde ich sagen, beginnt alles mit Gamla Stan. Jetzt, da ich hier wohne bin ich eigentlich nie dort, aber sie wickelt dich eben leicht um den kleinen Finger. Und wenn es einmal um dich geschehen ist, dann kommt man auch nicht mehr so schnell von hier weg. Aber wenn man dann doch mal über ein Wochenende weg war und dann mit dem Zug über Söder auf Slussen und das Schloss zu fährt, weiß man, dass das eben alles dazugehört.

 

Stockholm ist viel mehr als nur die Hauptstadt von Schweden, in dem es anscheinend nur Köttbullar und Knäckebrot gibt. Ich bin es satt, mich anscheinend nur davon zu ernähren und den ganzen Tag auch nichts als nur Abba zu hören. (Wir haben schließlich auch die Swedish House Maffia, Avicii und Hot Dogs. Haha.) Nein, wirklich. Schweden muss einen vielleicht erst etwas überzeugen, aber das tut es ziemlich schnell. Und übrigens, wir zu Hause bestehen anscheinend auch nur aus Rammstein, Bier und dem einen Kerl mit komischen Bart. Da werde ich lieber noch vier Monate auf Nervtötende Möbel, Fisch und Snus beschränkt.

 

Har det så bra mina kompisar!

 

 

Time goes by. Tiden skenar iväg. Die Zeit fliegt.

11März2014

Hach, im Nachhinein ist der folgende Text ein wenig melancholisch und eigentlich wollte ich von ganz anderen Dingen berichten, wie dass mein Bruder da war und ich eine unvergessliche Zeit hatte. Dass Avicii live wirklich was zu beaten hat! Dass die Sonne doch jetzt endlich scheint und alle nur noch draußen sind. Dass ich jetzt in einem Sprachkurs sitze mit ganz ganz ganz ganz vielen unterschiedlichen Menschen, die jeder eine andere Geschichte haben und alle (auf unterschiedliche Art und Weise betrachtet) ganz lustig sind. Dass mir die Russen erklären wollen, wie man ein R schreibt, danke hier für :P. Dass mich bald jemand Wundervolles besuchen kommt. Dass ich jetzt ja nur noch wenige Monate hier bin und die Zeit einfach nur davon rennt.

 

Es gab Tage, an denen ging die Sonne um halb vier unter. Es gab Tage, da lag Schnee auf den Straßen und das dicke Eis auf dem See. Es gab Tage, da hingen noch Blätter an den Bäumen. Es gab Tage, an denen man gar nicht wusste, was man denn alles mit ihnen anstellen sollte. Tage, an denen man nur die Nächte nutzte. Es gab Tage, da habe ich gedacht, ich werde mein Abitur niemals schaffen, so im Stress war man. Und dabei war es das Einzige, das man zu dem Zeitpunkt haben und hinter sich bringen wollte.

 

Momentan leide ich an Wurstweh. Das ist nicht nur eine wunderwolle fast - Alliteration, nein sogar eine atemberaubende fast - Alliteration. Höh. Ehm, also, ja, Wurstweh. Das ist auch atemraubend aber nicht wundervoll. Sie schmeckt hier einfach nicht! Ehrlich nicht. Vor allem leidet man entweder unter Entzug oder durch fehlende Qualität. Heute Morgen bin ich Tunelbana gefahren und dann erwischt man sich immer dabei, wie man aus dem nichts dinge wie: Boaaaah, Fleischkäääääääse!!! denkt. Ich würde alles dafür tun. Oder so´n knackiges Wienerchen vom Putenmetzger. Oder mal bisschen Fleischsalat auf gutem deutschen Brot. Hach, mehrfache Tode würde ich sterben! Das erinnert mich irgendwie an mein Wurstgedicht aus dem Deutschunterricht, welches ich ja irgendjemandem widmen sollte. Hiermit widme ich es offiziell der deutschen Wurst!

 

Morgen wird’s ja auch wieder was geben, und zwar Abi. Da kommt irgendwie auch so viel in mir hoch. Nein, keine schlechte Wurst, nur so viele Erinnerungen. Das ist irgendwie erschreckend. Ein Jahr ist schwupps um. Ging irgendwie schneller als gedacht. Abi. Das hat so viel bedeutet. Bedeutet heute auch noch viel, aber nicht alles. Und das hat es auch noch nie, oder? Auf jeden Fall weiß ich jetzt, dass man nach dem Abi schlauer ist, als davor. Nicht, weil man es hat, sondern weil man es verlässt. Diese Zeit und das ganze Drumherum. Jeder braut auf einmal sein eigenes Bier. Laut Statistik vergisst man innerhalb eines Jahres nach dem Abitur bereits 90%. Na, da weiß ich jetzt ja noch 10 % von allem. Aber ich wäre mir auch so sicher, dass ich dieses Jahr nicht noch einmal mitschreiben könnte, wollte, zum Glück auch nicht muss. Aber es sollte auch bei dieser Einmaligkeit bleiben. Das macht es ja schon zu etwas Gutem, dass es einmalig ist. Besonders eben. Auch wenn es so sein sollte, dass man 90% des Ganzen vermisst, scheiß drauf. Das Leben lehrt dir so viel mehr. Das habe ich hier schon von Anfang an mitbekommen. Und Zeit sowieso. Nicht, dass sie heilt oder alles besser macht, es wird einfach nur alles übersichtlicher und geordneter. Klarer.

 

 

 

Als ich hier ankam, habe ich mich teilweise so klein mit Hut gefühlt. Und Stöckelschuhen! Ingen sssswedisch. Fremd im Land, keine Freunde, kein Plan von gar nichts und du sollst jeden Tag auf zwei Kinder aufpassen, deren Sprache du genau nicht kennst!? Aber mit Abi ist ja alles möglich. Mhm, wie backt man einen Kuchen ohne Messbecher? Was war noch mal das Wort für Metzger? Das ging alles zwischen Kurvendiskussion und der Queen unter. Die gehen ja bekanntlich beide nicht so oft Fleisch einkaufen. Wobei, die Wurst schmeckt ja eh nicht so gott hier, da brauche ich das Wort ja auch gar nicht. Das wusste der Lehrplan bestimmt. Aber nach diesem Jahr? Es scheint (fast) alles möglich!

Ich schmeiße einen Haushalt mit zwei herzallerliebsten Rackern, bilingual. Koche jegliches Essen ohne Soße (nomnom, manch einer mags mögen). Ich kenne jegliche Antworten auf VARFÖÖÖÖÖR?!?!?! Und da gibt es wirklich uuuuuunglaublich viele. Kann Partys in jeglichem Ausmaße planen, an die Sonne glauben, obwohl es sie gar nicht mehr gibt, aus und wieder einrasten, meinen Kopf, trotz trilingualem Unterfangen, beherrschen und behalten, einen Tag, trotz der Variable x gleich unberechenbar, da Kind, planen und durchziehen. Überhaupt lernt man einfach jeden Tag etwas Neues.

 

 

Während dem Abi hatte man immer den Wunsch nach einem „es gibt, es gibt, es gibt“. Jetzt ist man im „Es gibt“ und da vermisst man manchmal das „es gab, es gab, es gab“ und wünscht sich es für einen Augenblick gerne zurück. Eine Sache, die ich hier besonders gelernt habe: Wertschätzung und Dankbarkeit. Auch für das, was gerade passiert und ist, aber vor allem für das, was bis her passiert ist und was es schon alles gab. Es scheint, als wüsste man erst jetzt, was in der Vergangenheit so wichtig war.

 

Manchmal wünsche ich mir, dass ich einfach losrennen kann und frei sein kann. Dass ich keine Ahnung von Einschränkungen habe und meinen kleinen Bruder unter einem Schrank mit 5 cm Abstand zum Boden suche, weil er sich ja darunter verstecken könnte. Dass ich der Person, auf deren Knien ich gerade stand, anbiete, dass sie nun auf meinen Knien stehen kann und meine Hände halten soll, um sich nach hinten zu lehnen, weil ich glaube, ich wäre groß genug und stark genug, obwohl ich ihr gerade mal bis übers Knie reiche. Ich würde gerne Bilder malen, auf denen Batman und Spiderman zusammen ihre Geschichten ausleben, weil ich fest davon überzeugt bin, dass sie Freunde sind. Ich würde mich gerne eine Stunde lang im gleichen Versteck verstecken und mich jedes Mal auf´s Neue freuen, wenn ich gefunden werde. Und zwar beim letzten Mal genauso sehr, wie beim ersten Mal.

Wenn Besuch da ist, wird einem immer bewusst, wie es nicht ist. Es ist nicht so, wie früher. Es ist anders, aber trotzdem schön. Hier zu sein, ist anders schön, als in Heidelberg zu sein. Hier zu sein, ist eine ganz andere Art zu sein. Manchmal eine schwere, aber eine sehr stolze Art. und auch hier gibt es ein „es gibt, es gibt, es gibt“. Und darauf freue ich mich. Auf lange Sommernächte, die zu noch längeren Tagen werden. Auf Schwimmen am See, auf Bier in den Bars, auf Sonnenschein auf der Haut, kurze Hosen und lange Abende. Fremde Sprachen und neue Gesichter. Blauer Himmel und freie Tage. Auf Kinderlachen und Freudentränen. Und auf Heidelberg.

 

Letztens hatte ich es mit meinem Bästis davon, ob man sich in eine Stadt verlieben kann. Oh ja. Und wie. Vor allem, wenn es Heidelberg ist. Allerdings muss ich sagen, gibt Stockholm einem auch einen Stich. Aber ich bin mir auch sicher, wenn ich im Winter hier das erste Mal hergekommen wäre, dann hätte ich geweint. Hahaha. Nein, diese Stadt ist wundervoll. Der Sommer wird genossen werden!

 

<3